Sprachentwicklungsverzögerungen

 Einleitung

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Die Sprache ist ein komplexes System und eine große Herausforderung für jedes Kind. Ein dreijähriges Kind sollte komplexe Sätze mit korrekten Haupt- und Nebensätzen bilden können. Kinder beginnen dann auch, Zeiten, wie Vergangenheit und Zukunft zu verwenden und sie entdecken die Fragewörter. Bis zum sechsten Geburtstag sollte ein Kind etwa 5000 Wörter im aktiven Sprachschatz nutzen. Kinder sollten dann auch Überbegriffe, wie „Früchte“ und abstrakte Begriffe, wie „Glück“ kennen. Sie sollten bis zehn zählen und fehlerfrei sprechen können. Zwischen fünf und sechs Jahren erkennen Kinder Reime und beginnen eigene zu formen. Das Interesse an Buchstaben sollte ein sechsjähriges Kind dazu motivieren seinen Namen schreiben zu wollen.

So weit das Durchschnittskind. Aber was wenn nicht? Was wenn mein sechsjähriges Kind immer noch Baby Talk spricht? Was wenn das Kind nach Worten sucht und nicht in zusammenhängenden, flüssigen und korrekten Sätzen spricht? Die Sprachentwicklung jedes einzelnen Kindes ist unterschiedlich. Dennoch ist eine Sprachentwicklungsverzögerung zu einer bestimmten Zeit auffällig, wenn man die Sprachkompetenz mit anderen Kindern im selben Alter vergleicht. Dann beginnen die Sorgen der Eltern und können Kommentare, wie: „Das ist sicher nur ein Spätzünder, ihr werdet sehen, bald hört er/sie nicht mehr auf zu quatschen!“ nicht mehr hören. Aber wann genau sollte man beginnen sich ernsthaft sorgen zu machen?

Die American Speech-Language-Hearing Association meint dazu: „Mehr als seine Studie belegt: umso älter das Kind zur Zeit der Diagnose, desto weniger positiv das Ergebnis der Behandlung. Ältere Kinder in der Studie hatten natürlich mehr Zeit sich zu entwickeln als jüngere Kinder, aber sie haben es nicht getan, was bezeugt, dass die Sprachentwicklungsverzögerung ernst genommen werden muss.”
Die Sprachentwicklung hat Einfluss auf die gesamte Zukunft eines Kindes, sie ist wegweisend für die Möglichkeit Abschlüsse zu absolvieren, gute Jobs zu bekommen und Selbstbewusstsein im Alltag zu besitzen. Somit ist es augenscheinlich, dass das Thema ab einem bestimmten Alter des Kindes ernst genommen werden muss. Wie bei allen anderen Entwicklungsverzögerungen, können die Gründe und ein Mix aus verschiedenen Faktoren sein.

Hier ein erster Ansatz zur Klassifizierung verschiedener Aspekte:

1. Die Art der Beeinträchtigung

  • Hörfähigkeit
  • Produktive Fähigkeit (sprechen)

2. Der betroffene Bereich der Störung

  • Sprache: Pragmatik, Phonologie, Lexik, Morphologie, Syntax
  • Sprechen: Phonetik / Artikulation, fließendes Sprechen
  • Stimme

3. Der Ursprung

  • Primär (Spezifische Sprachbeeinträchtigung)
  • Sekundär (funktionell oder organisch)

4. Die Zeit des Erscheinens

  • Entwicklungsstörung
  • Die Störung erschien nach der Sprachentwicklung

Zunächst muss der betroffene Bereich identifiziert werden: Sprache zieht zum Beispiel die Pragmatik (allgemeinen Kommunikationsfähigkeit) mit ein, sowie die Phonologie, die Lexik (Anzahl der bekannten Wörter), die Morphologie (Wortformation) und die Syntax (Satzstruktur).

Eine weitere Spezifizierung ist die Art der Störung oder Verzögerung, welche rezeptive und produktive Fähigkeiten beinhaltet. Störungen der rezeptiven Fähigkeiten beinhalten ein allgemeines Verstehen von Worten und Inhalten, aber nicht das Verstehen der Bedeutung von Worten und ganzen Sätzen. Dies wird sichtbar, wenn ein Kind Befehlen nur teilweise folgen kann, weil es einzelne Worte, nicht aber ganze Sätze versteht. Störungen oder Verzögerungen von produktiven Fähigkeiten werden sichtbar, wenn ein Kind keine ganzen Sätze formulieren kann und teilweise schweigt, weil es sich selbst nicht ausdrücken kann.

Ein weiterer Punkt über den man sich im klaren sein sollte, ist der Ursprung der Entwicklungsverzögerung: ein primärer Ursprung meint zum Beispiel, dass die Verzögerung oder Störung der Sprache eine für sich stehende Schwierigkeit ist, die nicht ein Teil von vielen Schwierigkeiten in einem großen Geflecht aus Verzögerungen und Störungen oder sonstigen Auffälligkeiten darstellt. Dies schließt generell alle neurologischen Störungen, wie unterdurchschnittliche Intelligenz oder sensorische Störungen aus. Das Gegenteil wäre der sekundäre Ursprung, in Anbetracht von Funktionen und Organen. Dieser bezieht eine Verzögerung oder Störung der Sprachentwicklung im Zuge einer Schwerhörigkeit oder mentalen und/oder physischen Behinderung mit ein. Auch im Falle einer Behandlung des Ursprungs kann es in diesem Falle passieren, dass die Sprachentwicklungsverzögerung bleibt und nicht automatisch geheilt ist.

Auch die Zeit der Erscheinung muss klassifiziert werden. Trat die Verzögerung zuerst auf, oder war die Sprache bereits entwickelt, als eine Störung oder eine Verzögerung eintrat? Letzteres kann zum Beispiel nach einem Unfall und/oder einer Krankheit auftreten, wenn das Sprachzentrum oder Sprechorgane beeinträchtigt wurden. Wie alle anderen Gründe für die Sprachverzögerung kann nur angenommen werden und machen nähere Untersuchungen notwendig. So kein ein Unfall zum Beispiel das Gehirn beschädigt und eine Sprachstörung ausgelöst haben, da das Sprachzentrum beeinträchtigt wurde, oder die Muskeln des Mundes, des Gesichts oder das Atemsystem wurden beschädigt, was eine motorische Sprachstörung hervorruft. Doch nicht nur physischer Schaden, auch ein mentaler Schock kann eine Sprachstörung, wie Stottern hervorrufen.

Wie oben beschrieben, kann eine Sprachentwicklungsverzögerung verschiedene Bereiche betreffen, unterschiedliche Ursprünge haben, verschiedene Arten von Störungen oder Verzögerungen vorweisen und zu unterschiedlichen Zeiten auftreten. Dementsprechend muss individuell auf den jeweiligen Fall eingegangen werden, wozu jedoch häufig Expertenwissen aus medizinischen und logopädischen Bereichen notwendig ist. Wie zu Beginn erwähnt, bedingt eine durchschnittliche Sprachentwicklung bestimmte Entwicklungsschritte zu bestimmter Zeit. Eine Verzögerung kann weitreichende Folgen für das gesamte Leben und den Lebenslauf einer Person haben. Da eine Sprachentwicklungsverzögerung von Beginn an ernst zu nehmen ist, ist es ratsam Kontakt zu einem Sprachtherapeuten aufzunehmen, sobald Eltern oder Lehrer eine Verzögerung feststellen.

 Übung

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So vielfältig die Symptome sind, die im theoretischen Teil beschrieben wurden, so unterschiedlich sind die notwendigen Behandlungen. Da einige Symptome von Experten behandelt werden müssen, zielen die folgenden Aktivitäten vor allem auf geringere Sprachentwicklungsverzögerungen ab und können als unterstützende, zusätzliche Maßnahme betrachtet werden. Die Übungen können in einfacher Form mit Gruppen von Kindern durch die Mitarbeiter/-innen, welche mit diesen Kindern täglich arbeiten, umgesetzt werden.

Im Allgemeinen kann man festhalten, dass der beste Weg die Sprachentwicklung zu fördern in der Umsetzung von gemeinsamen Aktivitäten liegt, die alle Sinne und Gehirnregionen integrieren, zum Beispiel durch Gespräche in Verbindung mit singen, bewegen oder malen. Dennoch muss an dieser Stelle betont werden, dass die folgenden Aktivitäten nicht als Ersatz einer professionellen Behandlung angesehen werden können.

Titel: Zusammenfügen

Ziel: Die Fähigkeit trainieren zu sprechen, zu erklären und Zusammenhänge herzustellen. Dadurch werden verschiedene der zuvor genannten Herausforderungen angegangen.

Inhalte: Nenne ein praktisches Beispiel aus dem täglichen Leben und erfrage Wörter, die damit zusammenhängen. Zum Beispiel: „Was passt zu dem Beruf des Feuerwehrmannes?“ „Welche Worte fallen euch ein, die zum Beruf des Arztes passen?“ „Was passt zum Gärtner?“, Antworten können einzelne Wörter bis hin zu ganzen Sätzen sein. Zum Beispiel: „Zum Beruf des Gärtners passt…“.

Dieselbe Technik kann für andere Themen adaptiert werden, zum Beispiel Eigenschaften von Orten („Was findet man im Supermarkt?“, „Was ist typisch für den Frühling/den Sommer/den Herbst und den Winter?“ etc.)

Wichtig hierbei ist, dass die Kinder dazu gebracht werden frei zu sprechen, die Sprachfähigkeiten zu trainieren und sich ins Gespräch einzubringen, welches einen ersten Eindruck der Sprachfähigkeiten erlaubt (Pragmatik, Phonologie, Sprachlexikon, Morphologie, Syntax), sowie der Stimme und der Sprechfähigkeiten (Phonetik, Artikulation, fließendes Sprechen). Diese Aktivität kann endlos erweitert oder in andere Aktivitäten integriert werden.

Material: Kein spezielles Material erforderlich


Titel: Elfchen

Inhalte: Ein Elfchen ist ein kurzes Gedicht mit einem vorgegebenen Muster. Es wird hauptsächlich in Grundschulen unterrichtet mit dem Ziel Kommunikations- und Schreibfähigkeiten auf kreative Weise zu entwickeln. Es ist ein spielerischer, interaktiver Weg, um ein Wort mit einem anderen zu verbinden. Als Ergebnis haben die Kinder ihr eigenes Gedicht geschrieben, was besonders auf Kinder mit geringem Selbstbewusstsein bezüglich ihrer Sprachfähigkeiten motivierend wirkt.

Das Elfchen beinhaltet elf Wörter, welche in spezieller Form über fünf Reihen angeordnet sind. Jede Reihe kann in bestimmter Art variieren.

Reihe Worte Inhalt
1 1 Ein Gedanke, ein Objekt, eine Farbe, ein Geruch o.ä.
Beispiel: Gelb
2 2 Was ist das Wort? Oder Was Tut das Wort?
Beispiel: Die Blätter
3 3 Was passiert noch? Wie oder Wo ist das Wort aus Reihe 1?
Beispiel: Und auch rot
4 4 Erzähl mir mehr!
Beispiel: Farben auf jedem Baum
5 1 Der Schluss: Ein Wort am Ende!
Beispiel: Herbst

Während der Erarbeitung des Gedichts ist es hilfreich mit den Kindern zu sprechen und Fragen zu stellen, um die einzelnen Reihen zu erarbeiten, besonders wenn die Kinder nicht wissen was sie schreiben sollen.

Material: Stift und Papier

Anmerkung: Für Schulkinder


Titel: Ich sehe was, was du nicht siehst

Ziel: Die Fähigkeiten trainieren zu sprechen, zu erklären und Zusammenhänge herzustellen. Dadurch werden verschiedene der zuvor genannten Herausforderungen angegangen.

Inhalte: Schaue um dich herum, entscheide dich (leise im Kopf) für ein spezielles Objekt und sage der Gruppe beispielsweise: “Ich sehe was, was du nicht siehst, dass hat die Farbe…grün!” Die Kinder müssen herausfinden, was es ist, während auf die Lösungsvorschläge nur mit „ja“, oder „nein“ geantwortet wird. Wer es errät, darf das Spiel mit einem neuen Objekt von vorn beginnen.

Wichtig hierbei ist, dass die Kinder dazu gebracht werden frei zu sprechen, die Sprachfähigkeiten zu trainieren und sich ins Gespräch einzubringen, welches einen ersten Eindruck der Sprachfähigkeiten erlaubt (Pragmatik, Phonologie, Sprachlexikon, Morphologie, Syntax), sowie der Stimme und der Sprechfähigkeiten (Phonetik, Artikulation, fließendes Sprechen).

Material: Kein spezielles Material erforderlich


Titel: Wer bin ich?

Ziel: Die Fähigkeiten trainieren zu sprechen, zu erklären und Zusammenhänge herzustellen. Dadurch werden verschiedene der zuvor genannten Herausforderungen angegangen.

Inhalte: Verteile kleine Zettel, Klebeband und Stifte. Dann soll sich jeder der Gruppe eine berühmte Person überlegen, die alle kennen (einen Filmstar, einen Cartoon Charakter, einen Sänger o.ä.). Der Name der Person wird auf den Zettel geschrieben und mit Klebeband auf die Stirn des linken Nachbarn geklebt, ohne, dass der Nachbar einen Blick auf den Namen werfen kann. Das Ergebnis ist, dass jede Person der Gruppe einen Zettel mit einem Namen auf der Stirn trägt, den jeder außer der jeweiligen Person selbst sehen kann. Dann beginnt jeder Reih um Fragen zu stellen, anhand derer erraten werden kann „Wer ich bin“. Es dürfen jedoch nur Fragen sein, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können. Zum Beispiel: „Bin ich männlich?“ Ist die Antwort „ja“, darf weiter gefragt werden, bei „nein“ ist der nächste dran. Ziel des Spiels ist es, dass jeder herausfindet wer er ist. Im Vergleich zu den vorherigen Aktivitäten, ist diese etwas komplexer und benötigt mehr Zeit.

Wichtig hierbei ist, dass die Kinder dazu gebracht werden frei zu sprechen, die Sprachfähigkeiten zu trainieren und sich ins Gespräch einzubringen, welches einen ersten Eindruck der Sprachfähigkeiten erlaubt (Pragmatik, Phonologie, Sprachlexikon, Morphologie, Syntax), sowie der Stimme und der Sprechfähigkeiten (Phonetik, Artikulation, fließendes Sprechen).

Material: Stift, Zettel, Klebeband

Note: Für Kinder im Vorschulalter.


Titel: Bildergeschichte

Ziel: Die Fähigkeit fördern, Zusammenhänge herzustellen und eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen.

Inhalte: Zunächst muss eine Bildergeschichte kopiert und die einzelnen Bilder ausgeschnitten werden. Jedes Kind soll nun die Bilder in die richtige Reihenfolge legen und erklären, was in der Geschichte passiert. Wie bereits erwähnt ist es wichtig, Fragen zu stellen, während mit den Bildern gearbeitet wird. „Warum denkst du, dass dieses Bild zuerst kommt?“, „Hast du auch schon einmal einen Schneemann gebaut, wie der Junge auf dem Bild?“ Besonders Fragen, die sich auf das Leben der Kinder beziehen, motivieren sie zu sprechen, was stets der beste Weg ist, Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten zu entwickeln. Außerdem hinterlässt es beim Kind ein gutes Gefühl, wenn sich jemand für sein Leben interessiert und sich Zeit nimmt Fragen zu stellen und zu zuhören.

Ein Beispiel für eine frei verfügbare Bildergeschichte unter folgendem Link: https://bildergeschichten.plakos.de/

Material: Kopien der Bildergeschichte, Schere

Offenkundig beinhalten die wichtigsten Sprachtrainings sprechen, zuhören und schreiben. Außerdem ist es ratsam diese Aktivitäten mit malen, singen und bewegen zu kombinieren, um viele Regionen von Körper und Geist mit einzubeziehen. Eine einfache Übung, wie das Vorlesen einer Geschichte, während die Kinder ein Bild dazu malen, ist bereits sehr hilfreich. Nach dem Vorlesen, können Fragen zur Geschichte gestellt werden, die mit dem Leben der Kinder verknüpft sind, wie „Ist dir schon einmal etwas ähnliches passiert?“ Dann können die Kinder erzählen, was sie gemalt haben.

Zeit für Gespräche ist für die Sprachentwicklung unverzichtbar.

Anmerkung: Ein reguläres Training mit den vorgeschlagenen Aktivitäten oder ähnlichen Übungen kann Sprachentwicklungsverzögerungen vermindern, aber in ernsthaften Fällen nicht die einzige Lösung sein. Der Kontakt mit professionellen Experten und den Eltern wird in diesen Fällen notwendig sein, um gemeinsam die beste Lösung für die individuellen Anliegen des Kindes zu finden.

 Fallstudien

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Maria ist ein sechsjähriges Kind, welches Schwierigkeiten hat sich in der Klasse zu integrieren und häufig allein ist. Wenn der Lehrer versucht sie in eine Gruppenarbeit zu integrieren und spezifische Fragen stellt, gibt sie stets kurze Antworten, aber spricht nie in ganzen Sätzen. Selbst bei den wenigen Worten, die sie spricht, bemerkt der Lehrer die falsche Verwendung von Grammatik und schlechte Aussprache der Worte.

Der Lehrer befragt seine Kollegen, die ihm dazu raten mit den Eltern in Kontakt zu treten, die selbst bereits Schwierigkeiten bei ihrer Tochter festgestellt haben. Leider sind die Eltern sehr beschäftigt und lehnen alle Vorschläge für einen Termin ab, so dass der Lehrer nicht mit den Eltern über Maria sprechen kann.

Da Maria gerade neu in die Stadt gezogen ist, hat der Lehrer keine weiteren Informationen von anderen Experten, so dass er nicht weiß, ob das Problem mit der Sprache schon länger existiert oder den Schwierigkeiten sich in die neue Umgebung zu integrieren geschuldet ist.

Fragen zur Reflexion

  1. Anstelle des Lehrers, was würden Sie machen und warum?
  2. Anstelle der Kollegen des Lehrers, was würden sie machen und warum?
  3. Stellen Sie sich vor, Sie seien ein externer Berater im Arbeitsumfeld von Lehrern (ein Arzt oder ein Abgeordneter der Kommune) was würden Sie tun und warum? Welche Ratschläge würden sie dem Lehrer zur Unterstützung geben?